Peenemünde Compassion – Vernichtender Fortschritt
Konzertante Tanzperformance
- Uraufführung im Mai 2019 im Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Usedom)
- Aufführung im Juni 2019 im Theaterhaus STUTTGART
Ein multimediales Gesamtkunstwerk bestehend aus
Butoh-Tanz
Butoh ist zeitgenössisches japanisches Körpertheater.
Butoh ist wild, still und unberechenbar.
Butoh ist ein Ventil, um Träume und Emotionen auszudrücken, die im Alltag keinen Platz finden.
Butoh ruft die Erinnerung des Körpers wach. Der Körper hat seine eigene Weisheit, jenseits vom biografischen Gedächtnis.
Butoh beinhaltet ein skurriles Bewegungstraining, das absichtlich geradlinigem Denken solange zuwider handelt, bis die Tanzenden mit dem Körper sehen lernen.
Butoh richtet alle Sinne nach Innen, in die Welt der vergessenen Träume…
Gesang
Yasuko Kozaki – Sopran
- Ludwig von Beethoven – Klärchens Lied
- Leonard Bernstein – Arias an Barcarolles
- Hans Eisler – Kriegslied eines Kindes
- Hans Eisler – Frühlingsrede an einem Baum im Hinterhaushof
- Hans Eisler – Der Pflaumenbaum
- Henryk Mikolaj Górecki – Aus der Symphonie Nr. 3 Symphonie der Klagelieder op. 36 2. Satz
- Enrique Granados – La Maja dolorosa
- Volkslied – Maikäfer, flieg
- Axel Ruoff – Drei Lieder nach altjapanischen Gedichten
- Viktor Ullmann – Arie des Mädchens
- Viktor Ullmann – Berjoskele
- Kurt Weill – Ballade. Vom ertrunkenen Mädchen
Klavier
am Klavier Cornelis Witthoefft
- Johann Sebatian Bach
- Ludwig van Beethoven
- Karel Berman
- Leonard Bernstein
- Hanns Eisler
- Henryk Mikolaj Górecki
- Enrique Granados
- Anton Reicha
- Axel Ruoff
- Viktor Ullmann
- Kurt Weill
Videoprojektionen
Szenen:
- Homo ludens
- Hybris
- Missachtung
- Sadismus
- Verzweiflung
- Was tun wir jetzt?
Die Künstler bei diesem Projekt:
Der Butoh-Tänzer Seiji Tanaka
Die Sängerin Yasuko Kozaki
der Pianist Cornelis Witthoefft
der Filmemacher und Fotograf Günther Raupp
die Künstlerin Sibylle Duhm-Arnaudov
Das Konzept
Diese außergewöhnliche Performance vereint verschiedene Darstellungsformen aus den unterschiedlichen künstlerischen Bereichen von Gesang, Tanz und bildender Kunst. Zusammen mit der Verschmelzung klassischer und zeitgenössischer japanischer Kultur mit europäischer Tradition und Avantgarde entsteht daraus ein einmaliges, neues Kunstereignis.
Mit Seiji Tanaka, dem japanischen Butoh-Tänzer, Schüler des Butoh-Begründers Kazuo Ohno, mit Yasuko Kozaki, japanische Sopranistin und ehemaliges Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, und mit Cornelis Witthoefft, renommierter Pianist, Musik- und vergleichender Literaturwissenschaftler, spürt Sibylle Duhm-Arnaudov der Grenze zwischen menschlichem Forscherdrang und menschlicher Zerstörungswut nach, deren Abgründen und Folgen. Jeder der beteiligten Künstler bewegt sich dabei in seinem eigenen künstlerischen Spektrum,im Zusammenspiel aber entsteht daraus etwas völlig Neues und Überraschendes.
Neben Improvisationen sind neue Lieder des Stuttgarter Komponisten Axel Ruoff zu erleben, der einige Jahre in Japan gelebt und gearbeitet hat. Seine Lieder greifen alte japanische Gedichte auf, die den Verlust eines Kindes aus Sicht der Mutter thematisieren. Diese Kompositionen entstanden unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima.
Des weiteren sind Kompositionen u.a. von Kurt Weill, Hanns Eisler und Viktor Ullmann zu hören, die vor den Nationalsozialisten ins Exil flohen oder zu deren Opfern zählten und deren Werke unter den Nationalsozialisten zum Teil als „entartet“ galten. von Karel Berman erklingen Teile seiner autobiographischen Klaviersuite „1938-1945“. Er überlebte die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz und verarbeitete seine unsagbaren Erlebnisse in seinen Kompositionen.
Viktor Ullmann komponierte seine Oper „Der Kaiser von Atlantis“ im Konzentrationslager, deren Aufführung dort allerdings verboten wurde. 1944 wurde er in Auschwitz ermordet.
Wesentliche Akzente setzt auch das Bühnenbild, das mit Videoprojektionen von Günther Raupp die Energieströme im Kesselhaus des Kraftwerks Peenemünde auch im Theaterhaus in Stuttgart erlebbar macht, jenem energetischen Zentrum dieses Ortes, der wie kaum ein anderer ein Symbol für den Fortschritt und dessen Perversion ist.
Hintergrund
Den Anstoß zu dem Projekt gab die Beschäftigung mit dem Historisch-Technischen Museum auf dem Gelände der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo die Ausstellung „Imprinting History“ mit Arbeiten des spanischen Malers Gregorio Iglesias Mayo und des mexikanischen Druckgrafikers Miguel A. Aragon auf den Menschen hinter der Faszination Technik aufmerksam machen.
An diesem Ort ließen die Nationalsozialisten Massenvernichtungswaffen entwickeln, vor allem die V1 und V2, die als „Wunderwaffen“ dem längst verlorenen Krieg eine Wende geben sollten und wesentliches Element der nationalsozialistischen Durchhaltepropaganda waren. Die technischen Erfolge der Ingenieure unter Leitung Wernher von Brauns wurden nach 1945 zur Basis der internationalen Raumfahrt, als deren „Vater“ von Braun bis heute gilt.
Im Bezug auf den Zweiten Weltkrieg teilen Deutschland und Japan in vielerlei Hinsicht gleiche historische Erfahrungen: Beide Länder waren Verbündete im Zweiten Weltkrieg und wurden besiegt, in beiden litt die Zivilbevölkerung unter Zerstörung, Nachkriegselend und Traumatisierung. Darüber hinaus hat Japan bis heute durch die Katastrophe von Fukushima mit den Folgen unbeherrschbaren technischen Fortschritts zu kämpfen.
Butoh wiederum wird von seinen Begründern ausdrücklich als eine Reaktion auf die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki verstanden. Die seit 1959 von Kazuo Ohno und anderen entwickelte Variante des modernen Ausdruckstanzes, der auch Wurzeln in Kabuki- und No-Theater hat, ist wie kaum eine andere künstlerische Ausdrucksform geeignet, sowohl das Gute als auch die Abgründe menschlichen Lebens und Handelns zu erleben und bis zu ihren archetypischen Wurzeln zurückzuverfolgen.