Peenemünde Compassion – Hoffnung?
PIANO – GESANG – BUTOH
Eine Weiterentwicklung des Projekts „Peenemünde Compassion – Vernichtender Fortschritt“
- Aufführungen im September 2021 im Theaterhaus STUTTGART
- Aufführungen im September 2021 in der St. Elisabeth-Kirche BERLIN
IMPRESSIONEN aus Stuttgart und Berlin 2021
Presse - Stuttgarter Zeitung
Stuttgarter Zeitung
„Die Hoffnung hat es schwer, wenn ein Ort wie Peenemünde Inspiration ist. Hier war im Zweiten Weltkrieg das größte militärische Labor Europas, in dem die Nazis unter der Regie von Wernher von Braun an ihrer „Wunderwaffe“ bastelten. Durch die Raketen V1 und V2 starben bei Angriffen auf England 8000 Menschen; 20 000 Opfer gab es unter den Zwangsarbeitern in der Heeresversuchsanstalt – sie verhungerten, wurden durch Arbeit vernichtet oder kamen bei der britischen Bombardierung um.
Düsterer Stoff für ein Tanzstück, wie es die Stuttgarter Konzeptkünstlerin Sibylle Duhm-Arnaudov und die japanische Sopranistin Yasuko Kozaki mit dem Butoh-Tänzer Seiji Tanaka 2019 realisiert hatten; „Peenemünde Compassion – Vernichtender Fortschritt“ sein Titel.
An diesem Samstag und Sonntag (18-19.09.21 Anm. d. Red.) zeigen die beiden in Stuttgart lebenden Künstlerinnen mit dem japanischem Tänzer, einem Schüler des Butoh-Begründers Kazuo Ohno, im Theaterhaus eine Fortführung des Stoffs. Neu im Team ist der israelische Pianist Noam Sivan, der in Stuttgart Klavierimprovisation lehrt.
„Wir haben neu auf unser letztes Stück geschaut und es abgefragt auf Momente der Hoffnung“, erklärt Sibylle Duhm-Arnaudov … so hoffnungslos und depressiv sehen wir die Menschheit eigentlich nicht … Was uns weiterhin beschäftigt ist die Frage nach der menschlichen Kreativität. Dieser Schöpfergeist hat uns das Überleben als Art gesichert. Wir benutzen ihn aber auch dazu, uns selbst auszulöschen.“
…
Gibt Natur, Religion, Liebe Anlass für Hoffnung und zeigt Auswege aus dem Kreisslauf der Zerstörung? Sibylle Duhm-Arnaudov und Yasuko Kozaki haben inspirierende Texte quer durch Kulturen und Zeiten gesammelt, die Präsenz der Bühnenkünstler bricht jeden Anflug von Pathos. „Hoffnung ist harte Arbeit, die bekommt man nicht geschenkt“, sagt Sibylle Duhm-Arnaudov. Uraufgeführt im ehemaligen Kraftraum der Heeresversuchsanstalt, entwickelt ihre Performance an jedem Ort eigene Stimme. Nach dem Theaterhaus ist sie in Berlin in der Kulturkirche St. Elisabeth zu sehen.
von Andrea Kachelrieß
Zuschauerstimmen
„昨日のパーフォーマンスは素晴らしかった!おめでとうございます!
靖子さんの声の何と自然なこと!悲しみ、怒り、喜び、そして愛が自然に溶け合って流れてくる感じ。
田中誠司氏はエネルギーはあるけれど、重量が無いのが始めからとても不思議でした。幽霊か魂みたい。
そばで生で彼の存在を感じるのと、録画などでは全く違いますね。
天才的なピアニストの演奏は、素子さんもおっしゃっていたけれど、とても心に響きました。
大きな音でも耳を塞ぎたくなるようなのとは違う。…“
„… Ich war beeindruckt, finde sie (die Veranstaltung Anm. d. Red.) sehr Sehens- und hörenswert.
Ein zahlreiches Publikum wünsche ich Euch sowie viele Möglichkeiten sie aufzuführen.
Der Inhalt ist gerade so aktuell, was leider nur Wenige sehen.“
„… tief berührt von Ihrer Aufführung gestern Abend im Theaterhaus möchten wir uns für diese gemeinsame herausragende Leistung bedanken. Wir sind sehr beeindruckt und erfüllt von einem tief beseelten Abend nach Hause zurückgekehrt. …“
„… vergangenem Samstag, dem 11.09. durfte ich wie bereits im vergangenem Jahr den KünstlerINNEN bei Ihrem neuen Stück „Hoffnung“ zusehen und das Stück berührte mich bis ins mein Innerstes, herzlichen Dank dafür. Es war ein großartiges Künstlerische Leistung aller 3 KünstlerINNEN. Leider hat mich Herr Seiji Tanaka mit seinem Butoh-Tanz so sehr in einen faszinierenden Bann gefesselt, dass ich die 2 anderen KünstlerINNEN gar nicht mehr genug Würdigung durchs Zuhören zukommen lassen konnte :-).“
„Es war eine wunderbare Dreier-Komposition zwischen Gesang, Musik und Butoh.“
„… Ich war beeindruckt von der Intensität der Bilder, der Musik und des Gesangs. … Die Stimme der Sängerin war toll, ihre Ausdruckskraft enorm variabel – selten habe ich eine Sängerin so präsent erlebt. Und Noam Sivan war ein Glücksfall, für mich (musikaffin) hat er das ganze Stück getragen. Zu dem japanischen Tänzer musste ich erst Zugang finden, seine Darstellung von Schmerz und Verzweiflung ging an die Nieren. Zusammen mit Peters Bildern war es unmöglich, nicht emotional betroffen zu sein. Respekt für eure Arbeit!!!“
„Diese Aufführung war völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. … Jeder Moment der 70 Minuten war so schön und traurig zugleich, wie eine Abfolge von Geburten und Todesfällen.
Die Sängerin war voller Lebensenergie und vermittelte die Realität des menschlichen Willens und Wahnsinns. … Ihre Stimme beherrschte sie perfekt, angefangen bei sanften Kinderliedern, über Texte in verschiedenen Sprachen wie Hebräisch, Deutsch, Japanisch und Polnisch, bis hin zu überraschend unterschiedlichen Tonleitern und Tönen. …
Im Gegensatz dazu vermittelte Seijis Tanz die tiefste Wut, den Kummer und die Sehnsucht, von denen wir vielleicht nicht einmal wissen, dass wir sie haben.
Es gab viele magische Momente …
… Der Pianist war Noam Sivan … Jede Note war so vorsichtig und zart, und der schöne Ton am Ende des Stücks ließ mich denken: „Oh! Danke, dass es so einen wunderbaren Klang auf dieser Welt gibt!
Es wäre eine lange Geschichte, über den Film zu schreiben, deshalb lade ich Sie ein, ihn selbst zu sehen.“
Die Künstler bei diesem Projekt:
Seiji Tanaka – Butoh-Tanz
Yasuko Kozaki – Konzeption, Gesang und Improvisation
Noam Sivan – Piano, Komposition und Improvisation
Sibylle Duhm-Arnaudov – Regie und Konzeption
Das Konzept
Gibt es Hoffnung? Oder ist die Menschheit trotz aller Fortschritte gefangen in einer Spirale von Hass und Gewalt?
Im zweiten Teil ihrer multimedialen Performance mit dem Butoh-Tänzer Seiji Tanaka suchen Sibylle Duhm-Arnaudov und Yasuko Kozaki nach einem Ausweg aus dem Kreislauf der Zerstörung.
Peenemünde: Die Heeresversuchsanstalt gilt als die Wiege der Raumfahrt. Hunderttausende haben das Historisch-technische Museum im Kraftwerk der Anlage besucht, angezogen von der Faszination der Raketentechnik, die deren technischer Leiter, Wernher von Braun, später für die NASA bis zum Mondlandung weiter entwickelt hat. Aber Peenemünde bedeutete Technik im Dienste der Zerstörung. In die Enge getrieben, erhofften sich die Nationalsozialisten von der „Wunderwaffe“ einen Befreiungsschlag. Über 8000 Menschen fielen den Raketenangriffen zum Opfer, an die 20.000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter den unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei der Produktion der Raketen.
Der erste Teil der Butoh-Tanzperformance Peenemünde Compassion – Vernichtender Fortschritt ging aus von einer Ausstellung der Künstler Gregorio Iglesias Mayo und Miguel A. Aragon im Historisch-technischen Museum, dem authentischen Ort und größten Baudenkmal Mecklenburg-Vorpommerns, wo die Geschichte auf Schritt und Tritt zu spüren ist. In sechs Szenen ging die Tanzperformance dem Zyklus der Zerstörung nach: Homo ludens, der schöpferische Mensch, beginnt sich selbst zu überschätzen: die Hybris, der die Missachtung anderer bis hin zum Sadismus folgt; was bleibt ist Verzweiflung und die Frage: Was tun wir jetzt?
Der zweite Teil, Peenemünde Compassion – Hoffnung? durchschreitet noch einmal denselben Kreislauf auf der Suche nach einem Ausweg. Butoh, Kunstlied, Klavierimprovisation und großformatige Videoprojektionen verbinden Kontinente und Ausdrucksformen zu einer neuen Einheit. Butoh entstand in der Nachkriegszeit, ausgehend vom modernen Ausdruckstanz. Während aber der europäische Tanz aus der Zeit der Lebensreform nach Überwindung der Erdenschwere, zum Licht strebte, geht Butoh, entstanden nach den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki, den umgekehrten Weg. Er macht „die Schreie der Dinge im Dunkel des Körpers“ sichtbar, wie Volker Grassmuck schreibt.
Für Yasuko Kozaki geht es auch um das Reaktorunglück von Fukushima. „Japan ist das einzige Land, das die verheerenden Folgen der Atombombe erlebt hat“, sagt sie. Dennoch setzt das Land weiter auf Atomenergie, sogar noch nach der Reaktorkatastrophe. Wieder zeigt sich der verhängnisvolle Kreislauf, von den Errungenschaften der Wissenschaft zur Selbstüberschätzung bis hin zur Verzweiflung und der Frage: Was nun?
Yasuko Kozaki steht als Sängerin zwischen den Kontinenten, zwischen Japan und Deutschland. Die Lieder und Texte, die sie vorträgt, stammen aus beiden Ländern, aber auch aus dem Nahen und Mitteleren Osten. Eine neue Entwicklung bringt Pianist Noam Sivan ins Spiel. Er leitet an der Stuttgarter Musikhochschule den weltweit ersten Masterstudiengang für klassische Klavierimprovisation. Mit Yasuko Kozaki verlässt er die vorgegebenen Pfade, um in den Bereich des Offenen, Unvorhergesehenen zu gelangen.
Unter der Regie von Sibylle Duhm-Arnaudov, vor den Videosequenzen von Günther Raupp, durchlebt der Zuschauer, die Zuschauerin physisch den Zyklus von Forscherdrang und Zerstörung, ohne Gewissheit, dem Teufelskreis je zu entkommen. Am Ende heißt mit Cicero: Solange ich lebe, hoffe ich.
von Dr. Dietrich Heißenbüttel